Betriebliche Tarifpolitik
Einsatz für Standorte und Beschäftigung

Besonders wenn es um den Arbeitsplatz geht, halten die Metallerinnen und Metaller an der Küste zusammen – in einigen Betrieben haben sie die Schließung von Standorten verhindert.

6. November 20206. 11. 2020


Ein ohrenbetäubender Lärm störte die Aufsichtsratssitzung. „Mit Trillerpfeifen und einer Feuerwehrsirene haben wir ordentlich Lärm gemacht. Ohne Ohrstöpsel hast du es nicht ausgehalten“, erinnert sich Jens Kruszona, Betriebsratsvorsitzender von Schmitz Cargobull in Toddin in Mecklenburg-Vorpommern. Mit zwei Bussen waren die streikenden Metallerinnen und Metaller des Herstellers von LKW-Anhängern nach Horstmar in Nordrhein-Westfalen zur Zentrale des Unternehmens gefahren, um ihr Anliegen klarzumachen: Standorterhalt statt Standortschließung. Weitere Gewerkschafter und Schmitz Cargobull-Beschäftigte anderer Standorte solidarisierten sich und unterstützten den Protest. Das Ergebnis: Der Aufsichtsrat vertagte seine Entscheidung, das Werk am Standort zu schließen.

Am Ende erreichten die gut organisierten Beschäftigten sogar, dass die Schließung ganz vom Tisch fällt. Dafür waren ein Warnstreik und ein unbefristeter Streik nötig. „Alle wussten immer, worum es geht“, erinnert sich Stefan Schad, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Rostock-Schwerin. „Die Geschlossenheit der Beschäftigten war der zentrale Schlüssel zum Erfolg.“ Mit vielen Solidaritätsbekundungen unterstützten die Menschen den Kampf der Metallerinnen und Metaller. Auf den Erfolg kann sich die Interessenvertretung allerdings nicht ausruhen – sie rechnet mit weiteren Einschnitten. „Wir kämpfen weiter für den Standort und wollen den Wandel des Unternehmens aktiv mitgestalten“, sagt Jens Kruszona. Zum Beispiel mit einer Altersteilzeit-Regelung, die den Arbeitsplatzabbau sozialverträglich gestaltet.


Beteiligung statt Geheimhaltung

So wie bei Schmitz Cargobull kämpften Metallerinnen und Metaller auch anderswo zusammen mit der IG Metall erfolgreich für Standorte, Beschäftigungssicherung und bessere Arbeitsbedingungen. Die Auseinandersetzungen machen deutlich: Nur vor Ort und gemeinsam mit den Metallerinnen und Metallern können Alternativen zu Unternehmensentscheidungen durchgesetzt werden. Dabei kommt der betrieblichen Tarifpolitik auch in flächengebundenen Betrieben eine wachsende Bedeutung zu.

Das zeigt auch das Beispiel thyssenkrupp Marine Systems (tkMS) in Emden. 2017 plante die Geschäftsführung die Schließung des Standortes mit seinen 222 Konstrukteurinnen und Konstruk- teuren. Aber die Belegschaft wehrte sich. Der Erfolg kam nach langen Verhandlungen von Gewerkschaft, Betriebsrat und Geschäftsführung im Oktober 2020: Der bereits ausgesetzte Schließungsbeschluss wurde endgültig aufgehoben.

Ein Weg zum Erfolg waren von der Interessenvertretung organisierte „Treppenhausrunden“ zum regelmäßigen Austausch mit den Beschäftigten. „Wir haben die Kolleginnen und Kollegen von Anfang an mitgenommen“, erzählt Amke Wilts- Heuse, Betriebsratsvorsitzende von thyssenkrupp Marine Systems in Emden. T-Shirts und Kapuzenpullis mit „Heimathafen Emden“-Aufdruck machten den Kampf um den Standort sichtbar. Mit Präsenz auf Kundgebungen und Konferenzen sowie Ansprache der Politik suchte die Interessenvertretung zusammen mit den Beschäftigten und der IG Metall die Unterstützung der Öffentlichkeit. „Statt auf Personalabbau im Rahmen eines Interessenausgleich und Sozialplan zu bauen, wie die Geschäftsführung von tkMS, setzten wir auf einen politischen Prozess“, sagt Franka Helmerichs, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Emden.

Zur Strategie gehörte auch das Alternativkonzept zur Standortschließung „Zukunft für Emden“. Die Kernbotschaft: Durch die Schließung und den Umzug gehen viele Fachkräfte unwiederbringlich verloren. Vom Konzept gingen wichtige Impulse aus: IG Metall und Betriebsrat sorgten dafür, dass es seit 2017 auch wieder Einstellungen am Standort gibt. Auch Ideen wie Kooperation der Standorte und mehr Digitalisierung in der Zusammenarbeit wurden von der Geschäftsführung übernommen. Eine Projektgruppe „Emden neu denken“ vom Betriebsrat, der IG Metall Emden und der Hochschule Emden/Leer denkt industriepolitisch in die Zukunft, wie das Gelände der Nordseewerke weiter genutzt werden kann.

„Alle Beschäftigten am Standort haben zusammen an die 4000 Jahre Erfahrung im Schiffbau. Wir haben alles dafür getan, dass dieser Wissensschatz erhalten bleibt“, sagt Wilts-Heuse.


Forderung nach Sozialtarifvertrag

Beim Airbus-Zulieferer Diehl Aviation in Ham- burg sollte unter anderem die komplette Serien- fertigung von Bordküchen und Waschräumen für verschiedene Airbus-Typen wie den A380 von Hamburg nach Ungarn verlagert werden, um Kosten zu senken. 550 Arbeitsplätze sollten dafür wegfallen. „Die Pläne waren eine Kampfansage an die gesamte Belegschaft“, sagt Ulrich Orth, Betriebsratsvorsitzender von Diehl Aviation.

Mit zwei Warnstreiks erhöhten die Beschäftigten zusammen mit Betriebsrat und IG Metall den Druck auf die Verhandlungen. Die Verhandlungen verliefen zäh, IG Metall und Betriebsräte bereiteten weitere Maßnahmen vor – bis hin zur Urabstimmung für einen unbefristeten Arbeitskampf. Aber dazu kam es nicht. In den abschließenden Verhandlungen mit der IG Metall und dem Betriebsrat einigte man sich mit dem Arbeitgeber auf ein Verhandlungsergebnis, das einen Sozialtarifvertrag, einen Interessenausgleich und Sozialplan sowie eine Reihe von Betriebsvereinbarungen umfasst.

Zum Gesamtpaket gehört, dass Hamburg als Standort für Produktion, Vertrieb, Service, Logistik und Entwicklung erhalten bleibt. Im Sozialtarifvertrag ist vereinbart, dass bis 2023 maximal 240 Arbeitsplätze stufenweise abgebaut werden können. Dazu gehören Regelungen zu Abfindungen und eine Transfergesellschaft. Mit einem Bonus für IG Metall-Mitglieder bei Abfindungen wird ihr Einsatz beim Widerstand gegen die Abbaupläne honoriert. „Das ist ein akzeptables Ergebnis. Wir haben viel erreicht und vor allem die Pläne des Arbeitgebers abwehren können“, sagt Ina Morgenroth, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Region Hamburg.


Zukunft gestalten

Auch bei Dräger in Lübeck konnten sich IG Metall und Betriebsrat gegen die Pläne des Arbeitgebers durchsetzen. Der Medizintechniker hatte einen rigorosen Sparplan angekündigt – 120 Millionen Euro sollten eingespart werden und am Standort in Lübeck 150 Arbeitsplätze wegfallen. Das Eckpunktepapier sieht vor, dass das Unternehmen bis 2023 maximal 50 der rund 7000 Beschäftigten kündigen darf. Drei Jahre lang verzichtet die Belegschaft auf Tariferhöhungen. Das Verhandlungsergebnis sieht weiter vor, dass zukünftig erfolgsabhängig Rückzahlungen in Höhe des Verzichts erfolgen.

»Angesichts der Ausgangslage ist das ein gutes und akzeptables Ergebnis für die Beschäftigten. Deswegen hat das Paket am Ende des Tages ein wenig Schatten, aber viel Licht – und damit gilt es jetzt, die Zukunft zu gestalten«, sagt Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, der als Erster Bevollmächtigter der IG Metall Lübeck-Wismar seinerzeit die Verhandlungen führte.

Der Zukunftstarifvertrag bei Dräger zeigt: Der erfolgreiche Kampf um Arbeitsplätze beginnt häufig schon früher als bei der Ankündigung von Personalabbau. Umso wichtiger, den Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern und einen gemeinsamen Weg mit allen Beschäftigten zu sicheren Arbeitsplätzen und zukunftsfähigen Standorten zu gehen. Das wird auch in Zukunft wichtig sein.

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