Das Betriebsverfassungsgesetz, welches die Mitbestimmung durch Betriebsräte regelt, feierte im vergangenen Jahr gleich zweimal Geburtstag: Ursprünglich 1952 in Kraft getreten, wurde es 1972 von der damaligen sozialliberalen Koalition zum letzten Mal grundlegend modernisiert – damals galten Faxgeräte als Zukunftstechnik. Es ist höchste Zeit, das Betriebsverfassungsgesetz fit für das 21. Jahrhundert zu machen. Die Rahmenbedingungen für Betriebsräte haben sich nämlich seitdem fundamental verändert: Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Plattformökonomie und Transformation vor dem Hintergrund der Erhaltung der Umwelt stellen die Interessenvertreter der Arbeitnehmer*innen vor erhebliche Herausforderungen.
„Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, die Transformation ist in vollem Gang. Damit die Transformation gelingt, brauchen wir mehr Mitbestimmung! Betriebsräte müssen aktiver an der Gestaltung der Veränderungen teilhaben können. Betriebsräte kennen das Unternehmen und die Beschäftigten sehr gut. Sie sind daher bestens qualifiziert, über Weiterbildungsmöglichkeiten und den Erhalt von Arbeitsplätzen mitentscheiden zu können. Von mehr Mitbestimmung profitieren wir alle: Beschäftigte, Gesellschaft, Industrie. Gerade deshalb dürfen Betriebsratsgründungen nicht behindert oder gar verhindert werden. Stattdessen brauchen wir Erleichterungen und schnelle Bestrafung von Union Busting. Mitbestimmung ist ein hohes Gut, und unser Reformvorschlag zeigt den Weg, wie wir sie erneuern und zukunftsfest machen können.“, so Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall.
Ministerpräsident Stephan Weil betonte in der Podiumsdiskussion die Bedeutung einer stärkeren Mitbestimmung in Zeiten des Umbruchs. „Der digitale und ökologische Wandel verändert auch unsere Arbeitswelt deutlich: Tätigkeiten werden automatisiert, Berufsbilder verändern sich, und ganze Branchen müssen sich neu orientieren. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist da nur die Spitze des Eisbergs. Verständlich sind die Sorgen der Beschäftigten bezüglich des Erhalts von Arbeitsplätzen und des Umgangs mit dem Datenschutz. Daher müssen alle Beschäftigten im Wandel mitgenommen werden. Deutschland hat den großen Vorteil, mit der Mitbestimmung im Betrieb die idealen Voraussetzungen zu bieten, um einen direkten Dialog zwischen Belegschaft und Geschäftsführung zu schaffen. Dieser Vorteil kann aber nur zur Geltung kommen, wenn die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes, gerade in Bezug auf die Veränderungen durch Digitalisierung, angepasst und zukunftsfähig sind. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz aus 2021 war ein erster Schritt. Nun müssen mit einer Reform weitere klare Mitbestimmungsrechte in der digitalen Arbeitswelt folgen, damit Transformation und Gute Arbeit zusammengehen.“, so Weil, der zusicherte, sich auf politischer Ebene für eine Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes einzusetzen.
Neben Benner und Weil diskutierten auch Daniela Nowak, Betriebsratsvorsitzende VW Braunschweig, sowie Jens Loock, Arbeitsdirektor Salzgitter AG, und Jens Brüggemann, Betriebsratsvorsitzender Airbus Operations Bremen, im Rahmen der Konferenz der beiden IG Metall-Bezirke Niedersachsen/Sachsen-Anhalt und Küste mit.
Der Reformvorschlag der Gewerkschaften unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sieht vor, dass Beschäftigte in Betrieben mehr Einflussmöglichkeiten bei Klima- und Umweltschutz sowie Gleichstellung erhalten. Ein Initiativ- und Mitbestimmungsrecht für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen wird vorgeschlagen, ebenso wie die Gründung von Umweltausschüssen in größeren Betrieben. Auch sollen Betriebsräte bei der Herstellung von Entgeltgerechtigkeit und Gleichstellung mitbestimmen können. Betriebsräte sollen zudem in Zeiten des Wandels initiativ bei Schlüsselthemen wie Weiterbildung, Beschäftigungssicherung und strategische Personalplanung mitwirken können. Das Vorschlags- und Beratungsrecht bei Beschäftigungssicherungsmaßnahmen soll zum verbindlichen Mitbestimmungsrecht ausgebaut werden. Die Personalplanung in größeren Unternehmen soll unter der Mitbestimmung des Betriebsrats stehen. Zudem sollten Interessenausgleichsverhandlungen erzwingbar sein.
Der Vorstoß sieht ferner eine Ergänzung der zwingenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats vor, um die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten besser zu schützen. Betriebsräte sollen bei Maßnahmen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte und des betrieblichen Datenschutzes mitwirken und initiativ werden können. Der Reformvorschlag zielt zudem darauf ab, "Union Busting" zu verhindern und die Gründung von Betriebsräten zu erleichtern. Es werden Änderungen beim Kündigungsschutz vorgeschlagen, um Betriebsratswahlinitiatoren vor fristlosen Kündigungen zu schützen. Der Schutz von Betriebsratsmitgliedern wird auf befristet Beschäftigte und arbeitnehmerähnliche Personen ausgeweitet. Zudem sollen betriebsratslose Betriebe jährliche Informationsversammlungen über die Möglichkeit einer Betriebsratswahl abhalten. Weitere Punkte sind im 2022 vorgestellten Reformkonzept des DGB enthalten.
Die anhängende Resolution haben die circa 200 Teilnehmenden der Mitbestimmungskonferenz der IG Metall Niedersachsen/Sachsen-Anhalt und Küste heute beschlossen.
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