12 Stunden am Tag, auch am Wochenende, insgesamt 84 Stunden in der Woche installieren und warten sie Offshore-Windräder, mit bis zu 60 Servicetechnikerinnen und -technikern auf einem Schiff – zwei Wochen am Stück. Danach haben die Servicetechniker des Offshore-Windparkbetreibers Ørsted zum Ausgleich zwei Wochen frei. Dieses „Schichtmodell“ ist nur möglich durch eine spezielle Offshore-Arbeitszeitverordnung, die im Küstenmeer und in der Außenwirtschaftszone der Bundesrepublik Deutschland gilt.
„Früher arbeiteten wir noch vom Land aus und konnten abends nach Hause“, berichtet der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Timo Röpkes, der seit neun Jahren Servicetechniker bei Ørsted ist. Doch dann änderte die Firma das Schichtsystem. „Erst waren wir eine Woche auf See, dann zwei. Und wir haben uns gefragt: Wie können wir da mitreden? Klar: Das geht nur, wenn wir einen Betriebsrat haben.“
Sie trafen sich privat und gründeten 2017 einen Betriebsrat.
Jetzt gehen die Beschäftigten von Ørsted Norddeich die nächste Stufe an: einen Tarifvertrag. Immer mehr Beschäftigte traten in die IG Metall ein. Ende 2022 sagte die Geschäftsleitung Verhandlungen zu, die im Januar 2023 gestartet sind.
DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi und IG Metall-Bezirksleiter Daniel Friedrich (rechts) mit dem BR-Vorsitzenden Julian Pohl.
Um sich über den Stand der Verhandlungen zu informieren, war am Mittwoch auch die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, zu Besuch auf dem Arbeitsschiff „Wind of Change“ im Hafen von Emden. „Nur mit guten Arbeitsbedingungen können wir ausreichend Fachkräfte für den sozial-ökologischen Wandel gewinnen“, machte Yasmin Fahimi klar. „Das gilt insbesondere für die Arbeit auf See. Hier ist auch die Bundesregierung gefordert, für mehr Klarheit zu sorgen. Denn die Sicherheit der Beschäftigten in der Nordsee und der Schutz kritischer Infrastruktur dürfen nicht an Zuständigkeitsgerangel scheitern.“
Doch vor allem sind die Arbeitgeber gefordert. „Die Wind-Branche muss verstehen, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn durch gute und sichere Arbeitsplätze die dringend benötigten Fachkräfte gewonnen werden können“, betont Julian Pohl, Betriebsratsvorsitzender bei Ørsted. „Dies gelingt nur mit Tarifvertrag.“
Auch die Geschäftsleitung von Ørsted hat erkannt, dass sie etwas für Fachkräfte bieten muss. „Wir freuen uns über den Besuch von Frau Fahimi – und darüber, dass Ørsted und die Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertreter in einem regen und guten Austausch miteinander stehen. Dies ist auch mehr als jemals notwendig“, erklärt Deutschland-Geschäftsführer Jörg Kubitza. „Wir müssen jetzt dem Fachkräftemangel in der Region entgegenwirken. Wir bemühen uns deshalb schon heute um vielfältige Angebote, wenn es darum geht neue Fachkräfte nach höchstem Industriestandard auszubilden oder Beschäftigte aus anderen Industriebereichen zu uns, zur Erneuerbaren Energie zu bringen.“
Das wissen auch die Beschäftigten bei Ørsted. Ihr Motto für ihre Tarifrunde: „100 Prozent erneuerbar – nur mit 100 Prozent Tarif“
Es geht ihnen gar nicht primär um hohe Lohnsteigerungen, sondern um ein transparentes und gerechtes Entgeltsystem, in dem Lohnungerechtigkeiten und der „Nasenfaktor“ abgeschafft werden. Darüber hinaus fordern die Mitglieder Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Zudem gibt es für ältere Mitarbeiter wenig Perspektiven. Mit über 60 Jahren noch oben auf der Turbine arbeiten? Das ist kaum zu schaffen.
„Vor allem wollen wir sichern, was wir haben. Wir haben das Gefühl, dass immer mehr gespart wird“, erklärt Timo Röpkes. „Ein Tarifvertrag bietet uns da Sicherheit – und eine Basis für künftige Entgelterhöhungen. Ohne Tarif kannst Du da als Belegschaft nur kollektiv betteln. Mit Tarif können wir den Arbeitgeber zu Verhandlungen auffordern.“
Nach Aktionen der Beschäftigten willigte Ørsted Ende 2022 in Verhandlungen mit der IG Metall ein. In den letzten Monaten wurden alle wichtigen Themenblöcke besprochen. Jetzt gehen die konkreten Verhandlungen los. Die IG Metall-Mitglieder bei Ørsted wollen mittelfristig die Anbindung an die Flächentarifverträge der Metall- und Elektroindustrie erreichen.
Es geht um ein komplettes Tarifwerk: ein Entgeltsystem inklusive einer neuen Zulagenregelung, Arbeitszeiten, Altersteilzeit. Vor allem beim Entgeltsystem und beim Übergang der Beschäftigten in die Rente liegen die Positionen noch weit auseinander. Wegen des Fachkräftemangels will der Arbeitgeber die Beschäftigten nicht früher gehen lassen. Allerdings gibt es auch kaum Arbeitsplätze für ältere Beschäftigte, die nicht mehr auf den Windrädern im Meer arbeiten können. Auch hier fordert die IG Metall mehr Arbeit an Land, etwa Reparatur, Instandhaltung oder Ausbildung.
„Jetzt startet die heiße Phase unserer Tarifbewegung“, macht Henrik Köller von der IG Metall Emden klar. „Wir haben unseren Entwurf für ein komplettes Tarifwerk vorgelegt. Jetzt muss die Geschäftsleitung liefern. Ansonsten werden wir einen Gang hochschalten.“